Ich möchte an die Debatte im Stadtrat vom 25. Januar erinnern. Hier ein Auszug aus meiner Rede zum Thema:
…gestatten Sie mir zu Anfang eine kurze persönliche Anmerkung. Wir befinden uns zwar im Wahlkampf, aber bei diesem wichtigen Thema ist meines Erachtens Polemik fehl am Platz. Die Wohnraumsituation in Weimar ist ernst und die Zeit drängt. Wir dürfen uns jetzt nicht in politischen Grabenkämpfen ergehen und mit ideologischen Auseinandersetzungen aufhalten.
Ich möchte zunächst den Grünen danken für ihre treffende und präzise große Anfrage. Wir sollten alle gemeinsam daran arbeiten und die drohende Wohnungsnot in Weimar verhindern. Nicht irgendwann, sondern jetzt! Lassen Sie uns über Fraktions- und Parteigrenzen hinweg zusammen arbeiten, damit auch in Zukunft Wohnraum bezahlbar ist und Menschen nach Weimar ziehen. Was wäre das für ein Zeichen an die Bürgerinnen und Bürger, wenn wir hier Geschlossenheit und Handlungswillen demonstrieren.
Es geht mir hier nicht um Schuldzuweisung, aber ich kann die Entwicklung der vergangenen Jahre natürlich nicht außer acht lassen. Da hat es ganz klar eine positive Entwicklung geben. Menschen ziehen in unsere Stadt, Kinder werden in Weimar geboren. Den größten Anteil am Bevölkerungswachstum haben aber entgegen der Aussage des Oberbürgermeisters nicht die jungen Familien, sondern vor allem Menschen über 65 Jahre. Diese Gruppe macht mittlerweile schon über 20% der Bevölkerung aus, Tendenz stark steigend. Nicht, dass ich das schlecht finde, ganz im Gegenteil. Weimar ist eine seniorenfreundliche Stadt. Wir brauchen aber langfristig vermehrt den Zuzug junger Familien. Und für alle Menschen, die schon da sind, bezahlbaren Wohnraum.
Weimar ist ein attraktiver Wohnort für Studenten. Wir sollten aber auch dafür Sorge tragen, dass diese jungen Menschen nach dem Studium nicht das Weite suchen, sondern hier bleiben. Günstiger Wohnraum und bezahlbare Grundstücke sind dabei entscheidende Faktoren bei der Standortwahl.
Wir hatten in den letzten 10 Jahren einen Bevölkerungszuwachs von 5 Prozent zu verzeichnen. Bis 2030 wird Weimar um weitere knapp 10 Prozent wachsen. Damit übernehmen wir in Thüringen eine Spitzenposition. Allerdings ist ein demographischer Wandel absehbar, die Zusammensetzung der Bevölkerung verschiebt sich. Es wird mittelfristig anteilig mehr Kinder und langfristig noch mehr Senioren geben, der Mittelbau und damit die Einkommen generierende Schicht nimmt leider ab. Die Stadt altert. Dem kann man mit entsprechenden Maßnahmen entgegenwirken. Weimar braucht auch in Zukunft eine gesunde Bevölkerungsstruktur, damit die Leistungsfähigkeit erhalten und möglichst verbessert werden kann.
Im Vorwort des Oberbürgermeisters auf die große Anfrage heißt es, dass sich der Trend schon 2003 deutlich abgezeichnet hat. Laut den statistischen Erhebungen hätte spätestens 2007 klar sein müssen, dass wir hier auf einen Engpass, ja, auf einen Wohnungsnotstand hinsteuern. Was haben Sie unternommen, Herr Wolf? Nichts!
Erst 2009 kam das ISEK. Und das hätte es wahrscheinlich nicht gegeben, wenn das Land ein Stadtentwicklungskonzept nicht zur Auflage für die Städtebauförderung gemacht hätte. Es ist jetzt müßig zu spekulieren, warum die Stadtentwicklung in den letzten 10 Jahren verschlafen wurde. Jetzt muss gehandelt werden!
Die Auswirkungen des Bevölkerungsanstiegs sind deutlich zu spüren. Die Situation auf dem Wohnungsmarkt ist angespannt. Das Angebot an bezahlbarem Wohnraum knapp, die Nachfrage hoch. Die Mietpreise explodieren. Allein in den letzten beiden Jahren im zweistelligen Prozentbereich.
Ein Plus von 2.827 Menschen, so lautet das prognostizierte Bevölkerungswachstum in Weimar bis zum Jahr 2020. Ausgehend von einer durchschnittlichen Quadratmeterzahl von 37,3 pro Person und einer durchschnittlichen Wohnfläche von cirka 80 Quadratmetern pro Familie, werden bis 2020, 1.318 zusätzliche Wohnungen benötigt. Wenn wir die nötige Planung und Bauzeit dazu rechnen, müssten von 2015 bis 2020 mehr als 200 Wohnungen im Jahr gebaut werden. Nach dem ISEK sind es bis 2030 sogar über 2.500 benötigte Wohneinheiten.
Das Bevölkerungswachstum bedingt in seiner Folge aber auch mehr Kita-Plätze und später durch den Anstieg der Schülerzahlen, auch hier eine Entwicklung.
Wir brauchen junge Leute in der Stadt, wir brauchen Wohnraum, wir brauchen aber auch Arbeitsplätze und Perspektiven für eine lebendige und lebenswerte Stadt. In sofern berührt dieses Thema auch ganz stark die Wirtschaftspolitik. Schnellstens muss Wohnraum geschaffen werden – sowohl Wohnraum zum Mieten und als Wohneigentum. Die Zeit drängt!
Der vorhandene Wohnraum muss bezahlbar bleiben. Mich wundert dabei die offensichtliche Unkenntnis des Oberbürgermeisters. Auf die Frage nach der Höhe der realen Mieten im Vergleich zum Mietspiegel, lautet die Antwort lediglich: Daten liegen der Stadtverwaltung nicht vor!
Ich hoffe Herr Wolf, Sie haben Zugang zum Internet. Eine einfache Recherche in den einschlägigen Internetportalen hätte Ihre Ahnungslosigkeit beendet. Beispielsweise weist der Preisspiegel von Immobilienscout 24 (Stand 7. Januar 2012) einen Anstieg der Mieten in der Parkvorstand von 15,4 Prozent in den letzten 12 Monaten aus. Übrigens: der Durchschnitt liegt bei über 6 Euro und das entspricht einem Anstieg von 6,5 Prozent zum Vorjahr. Gerne stelle ich Ihnen die gesamten Ergebnisse zur Verfügung.
Darüber hinaus sollten Sie als Aufsichtsratsvorsitzender der Weimarer Wohnstätte auch dazu Stellung nehmen, warum 9,4 Prozent der Wohnungen über dem Mietpreisspiegel liegen. In der Rittergasse, oder der Wagnergasse bezahlt man derzeit 8,50 Euro. Kalt, wohlgemerkt! So die aktuellen Angebote der WWS!
Wer soll eigentlich noch den prognostizierten Mietzins von 6, 50 Euro pro Quadratmeter in den sanierten Wohnungen in Weimar West und Schöndorf-Waldstadt bezahlen können. Zumal die Wohnstätte von durchschnittlichen Mieten in Weimar, im Jahr 2020, in Höhe von 5,50 Euro ausgeht. Das verstehe ich nicht! Sozialer, bezahlbarer Wohnraum klingt anders!
Das will ich jetzt nicht der Wohnstätte vorhalten. Die Weimarer Wohnstätte ist ein grundsolides, ertragreiches Unternehmen. Aber von Ihnen als Aufsichtsratsvorsitzenden erwarte ich die Entwicklungsvorgaben und eine strategische Ausrichtung. Bis 2030 brauchen wir in Weimar mehr als 2.500 Wohnungen. Die Weimarer Wohnstätte plant mit einer Investitionssumme von 29 Millionen Euro bis 2020 für Wohnungsneubau. Das reicht gerade mal für 10 Prozent des Bedarfs, also 218 Wohnungen.
Um eins klar zu stellen: Ich mache Ihnen nicht die Einwohnerentwicklung zum Vorwurf. Diese ist ein Segen für unsere Stadt! Aber ich kritisiere ganz deutlich, dass Sie darauf nicht adäquat reagieren.
Weimars Flächennutzungsplan ist seit 2003 viermal geändert worden. Er wurde aber nur partiell in kleinem Umfang angepasst. Lediglich drei große (Wohn-)bauprojekte wurden in den letzten Jahren im Stadtgebiet Weimar (ohne eingemeindete Ortsteile) verwirklicht: die „Innenstadtsanierung“, das „Neue Bauen am Horn“ und die Wohnbebauung an der Sackpfeife. Diese starre und unflexible Haltung muss endlich ein Ende haben!
Wir brauchen sofort neue Wohnbauflächen, erschlossen und baufertig. Infrastrukturmaßnahmen dafür müssen in den Haushalt eingestellt werden. Das sind Investitionen in die Zukunft, meine Damen und Herren! Alles andere hat eine Abwanderung in attraktivere und günstigere Gebiete zur Folge. Und das kann nicht unser Ziel sein.
Ein großes Potential sehe ich im nördlichen Bereich von Weimar – hier liegt bezahlbares Wohnbauland in schönster Südhanglage! Noch hat dieses Gebiet, wie auch Weimar West ein Imageproblem. Aber durch neue Wegebeziehungen und Ergänzungsbauten kann hier ein attraktiver Stadtteil entstehen. Positive Beispiele, wie so etwas gelingen kann, gibt es viele. Zum Beispiel die Südstadt im fränkischen Fürth. Über viele Jahre sozialer Brennpunkt. Nach dem Abzug der amerikanischen Streitkräfte hat man diesen Problembezirk in eine moderne Gartenstadt verwandelt. Um eine neue Sport- und Parkanlage herum gibt es neben hochpreisigen Lofts viele bezahlbare Wohnungen für Familien. 1250 Wohnungen, öffentliche Einrichtungen und gewerblich genutzte Flächen sind entstanden. Auf diese Weise ist man nicht nur dem Verfall des Areals begegnet. Die Stadtplaner haben zugleich der Abwanderung entgegenwirken können. Die modellhafte Sanierung, der sogenannte „Fürther Weg“ ist mehrfach ausgezeichnet worden, weil hier Lebensqualität für eine durchwachsene Bevölkerungsstruktur geschaffen worden ist.
Wir brauchen einen „Weimarer Weg“, meine Damen und Herren! Der Maßnahmeplan muss sofort in Angriff genommen werden. 750 Wohneinheiten könnten zeitnah in Weimar entstehen. Der Schlachthof mit knapp 300 Wohneinheiten, Merketal mit 200, Ehringsdorf, Sackpfeife und Tiefurt. Wenn wir jetzt mit diesen Gebieten anfangen, dann können frühestens in 2-3 Jahren die ersten Wohnungen fertig sein. Warum bieten wir nicht auch jungen Familien die Möglichkeit, günstig stadtnahe Flächen zu erwerben? Nur so können sie auch an die Stadt gebunden werden. Zur Erinnerung: Wir brauchen bis zum Jahr 2030 über 2.500 neue Wohneinheiten. Das kann nur gelingen, wenn wir handeln und nicht noch mal 10 Jahre ins Land gehen lassen.
Deshalb noch mal meine Bitte: Setzen wir uns gemeinsam an einen Tisch und handeln wir jetzt! Bevor es zu spät ist und wir sehenden Auges in eine irreparable Schieflage geraten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!